Pretty Commercial

Die ganze Wahrheit

2003 zelebriert Graz das Dasein als Kulturhauptstadt Europas. Arzneipflanze des Jahres wird für manche überraschend die Artischocke. In der Kategorie Weichtier wird die Bauchige Windelschnecke ausgewählt. Und dann sterben der Reihe nach Gregory Peck, Charles Bronson und Johnny Cash.
Kollegin Ruth und ich beschließen trotzdem eine Agentur zu gründen. Wir haben etliche Jahre Praxiserfahrung, ein paar originelle Ideen und jeweils einen Magister-Titel, was soll da schon schief gehen. Aber geben Sie dem Kind mal einen Namen! Wochenlang brüten wir vor uns hin. Einer der ersten Vorschläge: Pretty Commercial. Wird umgehend wieder verworfen. Klingt nach einem Magazin, aber nicht nach einem Unternehmen. Wie Sie wissen, ist es dann doch anders gekommen.

Nicht hip

Erste Station: Graz-Lend, zu einer Zeit, als das Grätzel noch nicht einmal ansatzweise angesagt war. Nebenan die Internet-Menschen rund um Ralph Harreiter und Syrous Abtine, die sich später Parkside nannten und eine fulminante Entwicklung genommen haben.
Unser erster großer Kunde: Die Fachhochschule Campus 02. Dass Peter Hochegger uns als Newcomern sein Vertrauen schenkt, werden wir ihm nie vergessen. Es folgen einige größere und kleinere Unternehmen, ein bisschen Kultur (das war eigentlich die angepeilte Zielgruppe), Soziales und Politik. Und das erste Buch, die Auto-Biographie von Herbert Paierl.
Die ersten drei Jahre sind bekanntlich zäh, wirklich nervenzerfetzend wird es aber erst danach. Vorauszahlungen, Nachzahlungen. 2007 kriegen wir gerade noch die Kurve. Ruth geht nach Wien. Ich mache solo weiter. An einer noblen Adresse, am Opernring. Ein schönes Haus mit großartigen Bürokollegen namentlich Nadja Schönherr, Regina Senarclens de Grancy, Werner Schandor, Michael Sammer. Außerdem Friseur und Augenarzt im Haus! Allerdings muss man im Nachhinein sagen: Viel zu selten mit dem Nachbarn aus dem Untergeschoß, Markus Schirmer, Kaffee getrunken. Der Mann ist ja auch immer unterwegs...

Ausgerechnet Facebook

Das Unternehmen konsolidiert sich. Nicht zuletzt dank Angelika Vauti und ihrer Kultur Service Gesellschaft. Interessante Zeiten, nicht nur weil innerhalb weniger Jahre drei sehr unterschiedliche Landesräte auf der anderen Seite des Tisches sitzen. Und dann kam auch noch Social Media.
Besonders internet-affin war die Firma ja eigentlich nicht ausgelegt. Auch wenn es bereits zu Beginn eine Phase gab, in der wir gemeinsam mit Microsoft eine interaktive Interviewserie im Web realisierten. Glaubt einem heute keiner mehr, wenn man das erzählt.
Rund um das Jahr 2010 waren es dann ziemlich zeitgleich Frank Wonisch und Claudio Pribyl, denen aufgefallen war, dass bei Pretty Commercial recht intensiv mit Facebook und Twitter, später auch mit Instagram und LinkedIn experimentiert wurde. Was auf den ersten Blick wie Zeitverschwendung aussah, wurde ein Geschäftsmodell.
Es folgten Beratungen und Kurse, Workshops und Vorträge, sogar Keynotes und vor allem: Postings, Postings, Postings. Mit und ohne Katzenfotos. Für ein großes steirisches Handelsunternehmen, für internationale Getränkemarken, aber auch für kleine feine Initiativen. Letztlich entwickelte sich daraus dann auch eine rege Unterrichtstätigkeit an BFI und WIFI, der Ortweinschule und seit Herbst 2019 an der FH JOANNEUM.

Früher war alles anders

In den Jahren hat sich das Portfolio ständig verändert. Mal dominierten Texte für Filme, dann wieder Bücher und journalistische Arbeiten. Nach all dem Web und Social Media kann man in letzter Zeit auch eine Renaissance gedruckter Medien feststellen. Ehrlich: was gibt es für einen Texter Schöneres als ein Magazin mit Worten befüllen zu dürfen?
Sind Sie dann bald fertig? Ja, aber einen schönen Schlusssatz haben wir noch. Eigentlich zwei: Die Geschichte ist an dieser Stelle nicht zu Ende. Sie wird täglich neu geschrieben.